Freitod einer Ärztin wirft Schlaglicht auf den Umgang mit Überlastung und die Konsequenzen für Patientensicherheit in Kliniken. Was Kliniken gezielt tun können

Kernthemen: Suizid im Krankenhaus, Belastung von Ärzten und Ärztinnen, Suizidversuche bei Ärztinnen und Ärzten, Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung, gezielte Maßnahmen

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Normalerweise wird in den Medien nur sehr zurückhaltend über Suizide berichtet. Das gibt der Pressekodex vor, um Nachahmungen zu vermeiden. Nur in Fällen besonderen Interesses werden Ausnahmen gemacht. So auch im Fall einer Klinikärztin, welche sich vergangene Woche das Leben nahm.

Wir nehmen den Fall zum Anlass, um die gezielten Möglichkeiten aufzuzeigen, die Kliniken haben, um frühzeitig Belastungen und Fehlbelastungen zu analysieren, gezielte Maßnahmen abzuleiten und umzusetzen und diese in ihrer Wirkung zu kontrollieren.

Herausforderungen für Klinikleitungen, Ärzte und Ärztinnen, Pfleger und Pflegerinnen steigen stetig

Die Herausforderungen für alle Beteiligten steigen stetig. Dies belegen nicht nur die aktuellen Statistiken zu Fehlzeiten und Ausfalltagen. Die Kliniklandschaft in Deutschland befindet sich im Rahmen der Krankenhausreform und der digitalen Transformation in einem Prozess tiefgreifender Veränderungen. Die Anforderungen werden sich in den kommenden Monaten und Jahren weiter verschärfen.

Die für alle Klinikleitungen gesetzlich verpflichtende fundierte Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung bietet alle Möglichkeiten, um frühzeitig die richtigen Entscheidungen zu treffen und gezielt zu handeln.

Schwerwiegende Vorwürfe im vorliegenden Fall

Im vorliegenden Fall hatte die Ärztin vor Ihrem Tod Missstände am Medizin Campus Bodensee angeprangert. Unter anderem berichtete sie von aus ihrer Sicht grob fahrlässigen Fehlern in der Patientenbetreuung durch die eingesetzten, überforderten Assistenzärzte, teilweise wohl auch mit Todesfolge. Auch wirft sie das Verschweigen ärztlicher Fehlentscheidungen und die versuchte Verhinderung von adäquaten Nachbehandlungen und deren Dokumentation vor. Die zu Protokoll gegebenen Fälle sind sehr detailliert beschrieben (vgl. z.B. schwaebische). Zudem stehen Mobbingvorwürfe und Aussagen über Drohungen gegenüber der Ärztin im Raum.

Mitarbeitende der Pflege äußerten Verwunderung darüber, zu den Vorfällen nicht befragt worden zu sein, obwohl sie täglich bzw. im Nachtdienst mit den Ärzten zusammenarbeiteten und das Sterben der Patienten miterlebten. Nach Aussage des Anwalts der Verstorbenen hätten sich inzwischen andere Beschäftigte bei ihm gemeldet, die die Vorwürfe bestätigen.

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Suizid im Klinikkontext kein Einzelfall

Leider ist Suizid im Klinikkontext kein Einzelfall. Uns erreichen mehrmals im Jahr Anrufe von Klinikleitungen, Chefärzt*innen oder Personalern, in deren Kollegium sich eine oder manchmal sogar in kurzer Aufeinanderfolge mehrere Mitarbeitende das Leben genommen haben. Tatsächlich ist die Suizidrate unter Mediziner*innen laut internationalen Studien 1,3 bis 3,4 – mal höher als in der Allgemeinbevölkerung. Bei Ärztinnen ist sie sogar 2,5-5,7fach höher. Jüngste Studien zeigen zudem eine besonders hohe Prävalenz unter Anästhesist*innen (Plunkett E et al., 2021). Egal wie hoch die Statistik ausfällt, jeder Einzelfall ist mindestens einer zu viel.

Häufig werden diese Fälle einer breiteren Öffentlichkeit nicht bekannt. Wenngleich der aktuelle Fall, aufgrund der Vorwürfe der Klinikärztin, eine besondere Brisanz hat, so gehen den meisten dieser Fälle, die an uns als Unternehmen herangetragen werden, Überlastungsthematiken voraus. Klinikleitungen fragen uns dann meistens, wie sie dafür sorgen können, dass solche schwerwiegenden Fälle verhindert und Ursachen für Fehlbelastungen grundsätzlich behoben werden können.

Was Kliniken tun können und gesetzlich müssen

Während kurz nach solchen Geschehnissen der Fokus im direkten Nachgang auf der psychosozialen Notfallversorgung des betroffenen Umfelds der Klinik liegt, ist eine systematische und aussagekräftige Erhebung der Risikofaktoren der psychischen Belastung der Beschäftigten schnellstmöglich anzugehen. Liegt keine aktuelle und in ihrer Datentiefe für alle Bereiche aussagekräftige Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung vor, ist diese einzuleiten.

Die verwendeten Instrumente müssen wissenschaftlich validiert sein und der Prozess aus Grob- und Feinanalyse sowohl quantitativ als auch qualitativ so aussagekräftig sein, dass konkrete Maßnahmen für die einzelnen Bereiche und Teams abgeleitet werden können. Denn auch wenn die Themen wie z.B. „zu hohe Arbeitsmenge“ häufig auf viele Bereiche zutreffen, sind Ursachen und vor allem geeignete Lösungsansätze oft zwischen den Bereichen, bspw. zwischen OP und Intensivstation oder Pflege und ärztlichen Beschäftigten, unterschiedlich.

Hinzu kommt eine Evaluation der vorhandenen Strukturen zur Verhinderung solcher Eskalationen. Hierbei ist beispielsweise das Vorgehen bei Gefährdungsmeldungen (früher: Überlastungsanzeigen), das Vorhandensein von psychosozialen Angeboten wie Seelsorge, EAP, Supervisionen, u.Ä., aber auch Vertrauenspersonen und weiteren internen Beratungsstellen, zum Beispiel gegen Mobbing, zu überprüfen.

Effektive Maßnahmen unbedingt zeitnah umsetzen

Aus der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung sowie aus der Überprüfung der Strukturen abgeleitete Maßnahmen sollten direkt in die Umsetzung gehen. Einerseits um die Missstände schnellstmöglich in den Griff zu bekommen und weitere Vorfälle präventiv zu verhindern, andererseits um der Belegschaft das deutliche Signal zu senden: Es tut sich was!

Der Effekt eines zielgerichteten Handels (vs. Aktionismus) auf die Stimmung in der Belegschaft ist, gerade einige Zeit nach einem solchen Ereignis, nicht zu unterschätzen. Hierbei ist auch die Sensibilisierung der Führungskräfte aller Ebenen für die Thematik, sowie die breite Bekanntmachung von Handlungsoptionen und Unterstützungssystemen, zu empfehlen.

Maßnahmen am Klinikum vermutlich unzureichend

Die Berichte über die Geschehnisse lassen im vorliegenden Fall vermuten, dass keine systematische Erhebung von Risikopotenzialen vorgenommen wurde, oder zumindest die Strukturen fehlten, die mutmaßlichen Missstände in einem geschützten Kontext, anonym und ohne Einwirkung durch Führungskräfte, zu platzieren. Insbesondere Aussagen aus der Pflege, man würde zur Thematik nicht gehört, legen dies nahe. Auch ein Qualitätsmanagement scheint im Hinblick auf die Missstände nicht vollends wirksam geworden zu sein.

Man darf nicht vergessen: die Prävention psychischer Fehlbelastung, auch durch Aspekte wie bspw. Zeitdruck, Überforderung oder Störungen, trägt nicht nur zu einer gesünderen Belegschaft bei, sondern wirkt sich auch direkt auf die Qualität der medizinischen Leistung aus und bedeutet für manche Patienten, wie vermutlich im geschilderten Fall, den Unterschied zwischen Leben und Tod.

Bitte gehen Sie Ihre Themen im Sinne Ihres Klinikums und jeden einzelnen Mitarbeitenden fundiert an.